epOs-Verlag

 
 

Kienast, Nora Sophie

Musikwettbewerbe unter Legitimationsdruck

Wie Beziehungsgeflechte und suggestive Faktoren Juryurteile beeinflussen

 
epOs-Music, 197 Seiten,

 
Bd. 4 der Reihe Beiträge zur empirischen Musikforschung
hrsg. von Christoph Louven
 
Osnabrück 2023
ISBN 978-3-949888-00-7 (Buch)
ISBN 978-3-949888-01-4 (CD-ROM)

Printausgabe
24,90 €

CD-ROM
14,90 €


 

Bericht von CLEMENS HAUSTEIN,
in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.12.2022, Feuilleton, Seite 11

Zehn Juroren und vier Wettbewerbsteilnehmer hat Nora Kienast für ihre Dissertation „Musikwettbewerbe unter Legitimationsdruck“ befragt und erhielt dabei - gleichwohl anonymisierte - Auskünfte über Interna, die bislang nur hinter vorgehaltener Hand erwähnt worden waren. (...)

In Kienasts neuer Arbeit äußern sich nun Juroren, die allesamt schon einmal beim ARD-Musikwettbewerb tätig waren, was Rückschlüsse zulässt auf die Prominenz und künstlerische Potenz der Interview-Partner. Beim in München ausgetragenen Wettbewerb sitzen gewöhnlich keine Unbekannten in der Jury, insofern hat man es hier mit Stimmen zu tun, denen Gewicht beizumessen ist. Dass sie zum Gespräch bereit waren, hat wohl auch damit zu tun, dass sie sich selbst als erstaunte Beobachter sehen, die sich eigener Wahrnehmung nach in Verhalten wie in Reflexionsfähigkeit von anderen, korrumpierbaren Kollegen abheben. Die Aussagen, die Kienast aus ihren Interviews extrahiert hat, erzählen also auch von Juroren, die bemüht sind, Regeln einzuhalten und die um ein angemessenes Verhalten ringen, wenn sich ein eigener Schüler unter den Teilnehmenden befindet. Große Offenheit, fast schon Erleichterung habe sie bei den Gesprächen feststellen können, sagt Kienast; zumindest den zehn, die sich hier äußern, scheint das Thema auf den Nägeln zubrennen.

„Wo Menschen sind, da menschelt es“, wird aus einem Interview zitiert. Aber ist damit alles gesagt? Aus Kienasts Arbeit ergibt sich jedenfalls ein nachdrücklicher Vorwurf mangelnder Transparenz. Dass die Wettbewerbe ihre Juryrichtlinien veröffentlichen oder online zugänglich machen, bleibt die Ausnahme.



Hinweis auf Diskussion in neue musikzeitung

Eine Auszug aus der Dissertation von Nora Kienast in der nmz Mai 2023 führte zu ausführlichen Diskussionen mit Wettbewerbsveranstaltern, zu lesen in der nmz Juni 2023.




Carsten Dürer in Piano 6-23, S. 85/86

Es ist eine empirische Studie, die die Autorin Nora Sophie Kienast über die Beurteilung bei Musikwettbewerben vorgenommen hat. Und es ist eine wissenschaftliche Arbeit, die sie untergenommen hat, um die Musikwettbewerbe dieser Welt einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Und das ist ihr gut gelungen. Denn in ihrer als Doktorarbeit angenommenen Studie hat sie alle Faktoren betrachtet, die bei einem Musikwettbewerb, also auch bei Klavierwettbewerben, von Belang sein können – und in der Regel auch sind. (...) Die Arbeit ist auch deshalb interessant, da bislang kaum wissenschaftliche Betrachtungen über Musikwettbewerbe vorliegen. (...) Wer sich schon eingehender mit Musikwettbewerben und deren Strukturen beschäftigt hat, weiß, wie Wettbewerbe funktionieren. Dass es keine absolute Objektivität geben kann, wird auch in dieser Studie eindeutig herausgearbeitet. Wie stark aber Juroren beeinflussbar sind, wird hier ebenso deutlich gemacht. Und dass einige es auch aufgrund ihrer charismatischen Positionierung im Musikleben ausnutzen, um die Kandidaten nach vorne zu bringen, die sie als Gewinner sehen wollen, wird ebenso deutlich. Auch wird klargemacht, dass die Kandidaten sich zwar über interne Strukturen in Wettbewerben beschweren, sie aber letztendlich auch wissen, worauf sie sich einlassen, wenn sie an einem Wettbewerb teilnehmen. (...) Die Frage, die sich stellt: Wieviele Wettbewerbe sind bereit, ihre seit zum Teil langer Zeit festgefahrenen Strukturen zu verändern, um ihre Austragung wieder stärker als Förderung der Kandidaten zu definieren und nicht als ein Netzwerk betriebenes Geschäft. Kienast meint: „Analog zum Bild des Musikwettbewerbs als Marktplatz muss dieser reguliert und auf ein legales Fundament gestellt werden. Der Schwarzmarkt gehört abgeschafft.“ Damit hat sie Recht.


Rezension von Carmen Heß in üben & musizieren, 6/2023, Seite 60

(...) Kienast fächert differenziert auf, wie vielfältig die Faktoren sind, die bei der Bewertung musika­lischer Leistungen die Entscheidungsfindung sowohl auf individueller Ebene als auch im fach­lichen und personellen Gesamtgefüge der Jury zu einem komplexen, anfälligen Prozess werden lassen. Sie bleibt nicht bei der Problemdiagnose stehen, sondern formuliert abschließend in einem Leitfaden konstruktive Reform- und Professionalisierungsansätze, die nicht nur das individuelle Verhalten adressieren, sondern VeranstalterInnen in die Verantwortung nehmen.
Etwas intensiver könnten das methodische Vorgehen und seine Grenzen reflektiert werden. In der sprachlichen Gestaltung fallen Formulierungen auf, die stark wertend wirken. Einerseits bezieht Kienast damit klar Stellung und benennt Missstände ungeschönt; andererseits kann die Darstellung als voreingenommen und normativ empfunden werden. Hier könnten eine klarere Trennung zwischen des­kriptiven und normativen Anteilen sowie eine konsequente Reflexion eigener normativer Vor­annahmen ein komplexeres, ambivalenteres Bild entstehen lassen, die Aussagekraft der Arbeit aber letztlich stärken.

Link auf die vollständige Rezension:
Musikwettbewerbe unter Legitimationsdruck



Rezension von Steffen Höhne in Die Musikforschung, 76. Jahrgang 2023, Heft 4, Seite 468/469

Ausgangspunkt der Studie, einer in Halle-Wittenberg entstandenen Dissertation, sind die Defizite von Musikwettbewerben, vor allem was die Intransparenz von Bewertungsmaßstäben angeht, die in der Regel nicht öffentlich gemacht werden. Probleme werden aber auch in den Beziehungsnetzen erkannt, insbesondere durch persönliche Bekanntschaft der involvierten Akteure in einem doch überschaubaren Feld. Hinzu kommt die Auswahl der Juroren, das Bewertungsprocedere und vor allem das Fehlen klarer Bewertungsvorgaben. Damit wird die These vorangestellt, dass es sich bei den Musikwettbewerben um einen durchaus umstrittenen Veranstaltungstyp handele.
(...) Aus der Fachliteratur und zwei Fallstudien (ARD-Musikwettbewerb, Jugend musiziert) präzisierten Vorannahmen ergeben sich für Kienast drei zentrale Problematiken: erstens die Übertragung einer agonalen Institution (Sportwettbewerb) auf das nicht-agonale Feld der Musik, zweitens die Bewertungskriterien. drittens ungerechte Beurteilungen und Intransparenz der Verfahren.
(...) Hieran schließt sich der hinsichtlich seiner Methodik gut dokumentierte empirische Teil an. (...) Insgesamt betrachtet lohnt sich die Lektüre dieser Studie, der es gelingt, die zentralen Probleme von Musikwettbewerben deutlich zu benennen und vor allem auch zu belegen.
 

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